Wer ins Postauto von Eveline und Andreas Ackermann in Bonaduz steigt, macht eine Reise in eine glorreiche Vergangenheit. Der Bus mit Jahrgang 1981 gilt als Rolls-Royce unter den Postautos. Kein Wunder, sind die beiden öV-Fans dem Charme des Oldtimers verfallen.
Auch wenn Eveline und Andreas bis vor Kurzem beide bei der RhB arbeiteten – er als Lokführer und sie als Zugverkehrsleiterin –, im Arbeitsalltag begegneten sie sich nur indirekt: Sie ist für die Überwachung und Steuerung des Zugsverkehrs sowie des Bahnbetriebs auf dem gesamten Streckennetz der RhB verantwortlich. Und sorgt für korrekte Sperrungen und Fahrleitungsschaltungen, damit Lokführer wie ihr Andreas die Züge sicher durch Baustellen führen können. «Ich bin in ständigem Kontakt mit Rangierarbeitern, Bahndienst, Zug- und Lokpersonal.» Abseits der Schienen sind die beiden dann aber umso mehr zusammen unterwegs. Um der gemeinsamen Passion auf die Spur zu kommen, drehen wir die Uhr 44 Jahre zurück.
1981 – was für ein Jahr! IBM bringt den ersten Personal Computer, den PC 5150, auf den Markt. Lady Di und Prince Charles heiraten, der erste Space-Shuttle-Flug gelingt, und auf einmal sind Schulterpolster und «Rüeblihosen» ganz gross in Mode. Tempi passati. Der PC 5150 oder das Space Shuttle sind längst Geschichte, an die grausigen Schulterpolster will sich niemand mehr erinnern und die Liebesgeschichte aus dem englischen Königshaus endete tragisch. Doch in diesem Jahr geschieht noch etwas Anderes, Dauerhafteres: In Arbon (TG) wird der Rolls-Royce unter den Postautos produziert – der Saurer RH 525-23. Für den muss sich niemand schämen – er ist auch nicht vergessen und vor allem: Er läuft heute noch und verbreitet Freude pur.
Wenn Andreas Ackermann in Bonaduz den Anlasszugschalter betätigt, erinnert der Klang des 280-PS-Motors an fernes Donnergrollen. Das zaubert ein freudiges Lächeln auf sein Gesicht, und auch die Augen seiner Frau Eveline leuchten. «Als ich als kleiner Bub zum ersten Mal in ein Postauto stieg, war es um mich geschehen», erinnert sich der Lokführer. «Mein Sackgeld investierte ich nicht in Süssigkeiten, sondern in Postauto-Billette.» Irgendwann kaufte der Berner Oberländer dann keine Billette mehr – sondern gleich das ganze Postauto.
Für diese Geschichte muss man kurz den Rückwärtsgang einlegen und bis zu dem Moment retour fahren, als Eveline Ackermann eine Passfahrt mit dem Postauto über die Grimsel machte. «Am Steuer sass Andreas – und da ich trotz Ferien und Prachtswetter der einzige Fahrgast war, kamen wir sofort ins Gespräch.» Der Rest ist eine perfekte Dreiecks-Liebesgeschichte: «Andreas musste keinerlei Überzeugungsarbeit leisten, um mich auch auf den Postauto-Geschmack zu bringen. Schon bevor wir uns begegnet sind, mochte ich historische Fahrzeuge und arbeitete in meiner Freizeit als Freiwillige bei der Furka-Dampfbahn mit», erinnert sie sich.
Wer als unbefangener Fahrgast in den 1981er-Saurer-Oldtimer einsteigt, kann bald verstehen, woher die Faszination der beiden Neo-Bündner für das Thurgauer Fahrzeug kommt: Der Saurer RH hat Charakter und – ja – Würde. Rote Sessel mit weissen Kopfstützenschonern, ein Dachhimmel im gleichen Rot, grosse Aussichtsfenster, Blumenvasen aus Metall bei jedem Sitz. «Während seiner Zeit bei der damaligen PTT diente er sogar offiziell als Bundesratsbus – für den jährlichen Ausflug der Landesregierung», sagt Andreas Ackermann stolz. Aber der RH, von dem in dieser Ausführung nur 18 Stück hergestellt wurden, war auch ein echtes Arbeitstier: «Wenn ein anderes Postauto liegen blieb, wurde er gerne auch mal als Abschleppfahrzeug eingesetzt.»
Neben dem Fahrersitz fällt ein seltsames Gerät mit Kurbel auf, das nur noch Ältere kennen: eine Billettmaschine. Nichts elektronisch, alles mechanisch. Dafür funktioniert das Teil seit über einem halben Jahrhundert einwandfrei. Genau wie das Postauto selbst: «Seit 44 Jahren derselbe Motor, kein Rost, keine gröberen Probleme – und auswechseln mussten wir bis jetzt nur Verschleissteile», sagt Eveline Ackermann. Diese sind allerdings nicht immer leicht zu finden. Ein Originalscheinwerfer, ein elektrischer Schalter aus den fernen 1980er-Jahren – solche Teile gibt es offiziell längst nicht mehr. «Zum Glück sind wir nicht die Einzigen, die sich um die Postauto-Oldtimer kümmern – es gibt sogar verschiedene Vereine. Manchmal kann dann ein Kollege aushelfen, aber es wird immer schwieriger.» Allein die elektrische Schalt- und Steueranlage für Türen, Blinker, Lüftung und Licht ist mehr als einen Quadratmeter gross. Heute hätte das Ganze wohl auf einem einzigen Chip Platz.
Dann wirft Ackermann den ersten Gang ein, der Motor dreht perfekt – und der Postauto-Rolls-Royce rollt los. Majestätisch möchte man fast sagen. Und auf einmal wird einem bewusst: Dieser alte Saurer ist ein Stück Kulturgut. Schweizer Geschichte auf Rädern. Ein bisschen gute, alte Zeit. (fb)
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